Ich glaube meine Schwester hatte es nicht ganz so leicht mit mir. Sie ist 8 Jahre älter, was schon echt böse sein kann. Sie musste sich – bis sie mit 17 oder 18 auszog – ein Zimmer mit mir teilen, musste auf mich aufpassen und Rücksicht nehmen. Ich hab sie oft verpetzt oder bin unerlaubterweise an ihre Sachen gegangen und hab rumgewühlt. Durch die erwachsene Einsicht, wie kacke ich damals teilweise mit ihr umgegangen bin sollte ich doch eigentlich mehr Verständnis für die ständigen – STÄNDIGEN – Streitereien meiner beiden wunderbaren Kindern haben. Hab ich aber nicht.

Meistens sind es gar keine epischen Streitattacken wegen tiefgreifender aktueller weltpolitischer Meinungsverschiedenheiten…nein, es reicht schon wenn sie beim gelangweilten Über-den-Boden-Rollen kollidieren und sich darüber dann so richtig in die Wolle kriegen. 2.0 fängt meistens als Erster an rum zu ballern: „Du bist so kacke. ICH WERD NIE NIE WIEDER DEIN FREUND SEIN!“ Und 1.0 kontert genauso eloquent: „Ist mir doch egal, du Kackbruder.“ und kassiert direkt das Echo „DU bist eine Kackschwester.“ So geht es dann weiter bis einer, oder beide, heulen und der andere ist immer schuld. Neuerdings bringt 2.0 als krönenden Abschluß den Klassiker dieser Tragikomödie auf der heimischen Bühne: „JETZT SAG ICHS!“. und dann kommt mein Auftritt: „Nicht petzen!“ „Aber ich petze nicht!“ „Hat sie sich wehgetan oder macht sie was gefährliches?“ „Nein, aber…“ „Dann willst du mir was Tolles über sie erzählen?“ „Nein, auch nicht.“ „Dann ist es petzen und das will ich nicht hören.“
Ich bin davon genervt. Sehr. Immer.

Was mich daran am meisten nervt, ist, dass es mich selbst wirklich in den Wahnsinn treibt. Wenn das Finale nicht im Petzen endet, dann oft in einem Rachmaninov-ähnlichen Brüll-Konzerte, in dem ich sehr ungehalten werden kann, wenn es 110 Dezibel überschreitet. Denn dann komme ich irgendwann mit meinem 115 Dezibel starken Solo. Dafür gibts dann keinen Applaus – nichtmal von mir selbst – sondern eher erschrockene Blicke vom Publikum. Und im besten Fall sofortige Stille, so dass dann ein schönes und vieeeeeel ruhigeres Mezzopiano folgen kann. Jedes mal wenn es mir gelingt einen Weg zu finden, der ohne meine kleine Einlage auskommt und zum gleichen Effekt führt, feiere ich mich innerlich wie Sau. Leider werden diese Erfolge dank des erneuten Lockdowns immer seltener.

Ich bin schon vom Stress gestresst, bevor es überhaupt Stress gibt, wegen dem ich gestresst sein könnte.

Es gibt Tage, da stehe ich auf und rieche schon förmlich auf dem Weg ins Kinderzimmer, dass die Luft heute irgendwie dicker ist als am Tag zuvor. Und das ist ja auch okaaaay. Geschwister brauchen Reibung, das weiss ich auch. Sie vergleichen sich mit anderen, wollen bessere Leistung bringen, trainieren dadurch ihren Ehrgeiz oder einen Gerechtigkeitssinn.
Diese Achterbahn an Gefühlen die da durch die beiden durchkracht ist oft so intensiv, dass ich nur leider von der Welle mitgerissen werden. Und dann? Ja, nach einem Wimpernschlag hat sich der Etna wieder beruhigt und irgendwann gehts in die nächste Runde. Meine Laune macht diese Achterbahnfahrten aber nicht mit…ist sie einmal im unteren Quadranten angekommen, schafft sie es meistens den ganzen Tag nicht in den obersten aufzusteigen. Und das ärgert mich. Dafür können die Hosenscheisser aber ja nunmal gar nix.

Ich glaube alle Eltern von mehr als einem Kind, haben die große Hoffnung, dass das Band zwischen ihren Sprösslingen niemals reisst, und wenn doch, dass sie es viel stärker wieder neu knüpfen. Und die schaffen das ja auch meistens besser von alleine, als wenn ich mich einmische. Sie begleiten sich mit allen Höhen und Tiefen durch die Kindheit und sie lernen dabei so viel. Wir wünschen uns, dass sie eine Einheit bilden werden, dass sie immer einander haben werden. Einen Vertrauten, der sie komplett 100%ig in uns auswendig kennt. Einen Verbündeten, der ihnen zur Seite steht wenn es mal Ärger gibt. Und jemand, der sie einfach bedingungslos lieb hat. Vor allem wenn wir Eltern das dann irgendwann nicht mehr können.

Ich streite mich mit meiner Schwester nicht mehr so wie früher. Zum Glück. Das ist anstrengend. Nachdem wir uns sehr sehr nahe standen, sogar miteinander gewohnt haben, kamen schwierige Zeiten voll mit Streitigkeiten, Missverständnissen und noch viel mehr und vor allem jahrelanger Funkstille. Wir beide fanden das zwar extrem scheisse, konnten aber sehr lange nicht über unsere Schatten springen. Bis ich schwanger mit 1.0 wurde. Da kam der Wendepunkt, vorsichtiger Kontakt und wir schworen und, dass uns das niemals wieder passiert. Und halten uns auch recht gut dran. Ich muss nicht alles gut finden was sie tut und sie muss nicht hinter allem stehen was ich so entscheide. Das ist ok so. Ich muss nicht alles ins kleinste Detail mit ihr teilen und sie auch nicht mit mir. Tun wir auch nicht, das tut nicht Not. Aber wenn es drauf ankommt, sind wir füreinander da. Streit gibt es schon länger keinen mehr. Wir zicken uns dann eher auf unfassbar subtiler passiv-aggressiver Ebene an. 🙂 Und auch das ist in Ordnung. Dann hört oder liest man sich halt mal ne Woche oder zwei nicht. Manchmal passiert das auch einfach, weil nix aufregendes passiert oder man auch einfach mal kein Bedürfnis nach Austausch hat oder einfach zu beschäftigt mit seinem eigenen Alltag ist. Was wir beide nicht leiden können, ist dem anderen Vorwürfe zu machen, wie man sein Leben führen soll, denn dabei sind wir sicherlich himmelweit unterschiedlich. Und dennoch – trotz dieser ganzen Unterschiede sind wir am Ende in unserem Geschwistersein doch so vereint, dass alle Unterscheide keine Rolle spielen. Weil wir wissen, was wir aneinander haben, dass wir einander haben. Und ich hoffe inständig, dass meine zwei Kinder dieses Gefühl von Verbundenheit auch mit in ihr Erwachsenenleben nehmen. Denn was bleibt, sogar jetzt, in der Kack-Corona-Zeit, ist immer die Familie. Und im besten Fall ein paar Geschwister, mit dem man sich schlagen und wieder vertragen kann.

Ich hoffe ihr habt alle eine wunderbare Weihnachtszeit.

Fühlt euch gedrück.
Vor allem du, E.

Frollein M.punkt